Honda CB 500

Bald zeigte sich, daß das Fahrverhalten des Twins stark vom verwendeten Reifentyp abhängig ist. Die CB 500 hat ausgerechnet mit der Erstbereifung Dunlop F 103 F/A Arrowmax die unangenehmsten Fahreigenschaften: Von »A« wie Aufstellneigung beim Bremsen in Schräglage bis »U« wie unhandlich, von »G« wie geringem Abrollkomfort bis »W« wie wenig Naßhaftung reicht das Alphabet. Die Reifenalternativen von Metzeler - ME 33 und ME 55 A - und Pirelli - MT 09/08 Match - haben deutliche Vorteile in Haftung, Handlichkeit und Abrollkomfort zu bieten, wobei der Pirelli das Hauptaugenmerk auf die Handlichkeit legt, dafür aber bei hohem Tempo etwas nervöser ist als der Metzeler. Das beste Preis/Leistungs-Verhältnis bei gekonnt kombinierten Allround-Eigenschaften bietet die Bridgestone-Paarung G 601/602 Exedra (MOTORRAD, Heft 18/1995: Reifentips für Honda CB 500).

Honda GL 1500

Mehr Reisekomfort und mehr Luxus verspricht Honda nun schon über zwei Jahrzehnte mit der Gold Wing. Seit zehn Jahren markiert die GL 1500 SE den Höhepunkt der Entwicklung.

 

Mit einer Konstanz wie kaum ein anderes Motorrad gleitet die Gold Wing durch die Dekaden des modernen Motorradbaus. Beständigkeit hat auch der Spott und Hohn, der sie auf allen Wegen begleitet. Ein Auto auf zwei Rädern, so wird sie vielfach charakterisiert. Es liegt schon ein Fünkchen Wahrheit in dieser Aussage. Allein die äußeren Abmessungen des Reisedampfers, der seit 1979 nicht mehr in Japan, sondern von Honda of America in Marysville/Ohio produziert wird, degradieren selbst Big Bikes zu filigranen Mitgliedern der Gattung Einspurfahrzeuge. Kleinwagen werden zu Statisten, wenn eine mächtige Gold Wing die Szene betritt, und Ausstattungsmerkmale wie Stereoanlagen sind auch nicht gerade zweiradtypisch.
Doch Gold Wing-Liebhaber tendieren zu Maschinen im vollen Ornat, und so wird das Objekt der Begierde meist nicht beim offiziellen Honda-Händler gekauft, sondern über den grauen Markt direkt aus dem Herkunftsland USA bezogen. Da kein Testmotorrad deutscher Spezifikation aufzutreiben war, hat auch MOTORRAD auf ein US-Modell, das uns vom Gold Wing-Spezialisten B 27 aus Balingen überlassen wurde, zurückgegriffen. Einzige Unterscheidungsmerkmale vom offiziellen deutschen Modell: die serienmäßig hohe Scheibe, das CB-Funkgerät, sowie die als Extras erhältlichen Zusatzscheinwerfer zur Kurvenausleuchtung und die Gepäckbrücke auf dem Topcase. Alles Dinge die sich mit dem Segen des TÜV auch an das deutsche Modell adaptieren lassen.
Die erste Kontaktaufnahme mit dem 423-Kilogramm-Koloß relativiert dessen stattliche Erscheinung nachdrücklich. Spielend leicht gleitet die Gold Wing vom Hauptständer. Dank eines günstigen Haltegriffs und der gelungenen Hauptständerübersetzung läßt sie sich auch ebenso leicht wieder aufbocken.
Heute ein König, so schießt es einem bei der ersten Sitzprobe zwangsläufig durch den Kopf. Der breite, komfortable Fahrersessel - Sitzbank ist hier nicht das passende Wort - der gut zur Hand liegende Lenker sowie die angenehmpositionierten Fußrasten kreieren ein Sitzarrangement, für das andere Hersteller zahllose Ergonomiepakete bemühen müssen. Es paßt einfach alles, bequemer geht’s auf einem Zweirad nimmer.
Mit einer Sitzhöhe von 76 Zentimeter läßt sich die Maschine trotz ihres hohen Gewichts auch von kleineren Fahrern im Stand noch gut ausbalancieren. Sollte sie doch einmal umfallen, begrenzt ein ausgeklügeltes System von Sturzbügeln den Schaden: Der Sechszylinder bleibt bei 42 Grad Schräglage liegen, so daß kein Kunststoffteil in Mitleidenschaft gezogen wird, und an noch etwas haben die Ingenieure aus dem Land der aufgehenden Sonne gedacht: Durch einen Hebel links vom Tank wird eine Rückfahrhilfe aktiviert. Bei laufendem Motor und eingelegtem Leerlauf genügt der Druck auf den Anlasserknopf, und die ganze Fuhre bewegt sich wie von Geisterhand getrieben rückwärts.
Nicht weniger bequem wie der Fahrer ist der Beifahrer, egal ob groß oder klein, untergebracht. Behütet wie im heimatlichen Fernsehsessel, eingebettet zwischen Lautsprechern und Ablagefächern, angelehnt an eine ins Topcase integrierte Rückenlehne, verlieren für ihn lange Strecken jeden Schrecken. Und um letzten Komfortansprüchen genüge zu tun, kann der Beifahrer seine Trittbretter per Fernbedienung in der Höhe verstellen.
Der Fahrer selbst findet ausgebreitet auf zirka einem Quadratmeter Verkleidungsfläche eine Cockpitlandschaft mit ungeahnten Betätigungsfeldern. Neben den von »normalen« Motorrädern bekannten Bedienelementen bietet die Honda eine ganze Klaviatur von Schaltern, Hebeln und Knöpfen zur Steuerung der unzähligen serienmäßigen Extras wie Tempomat, integrierter Audioanlage, Gegensprechanlage, CB-Funkgerät, bordeigener Kompressor, verstellbare Scheibe und Heizungs- und Lüftungsklappen. In der rückwärtigen Verkleidungsfront finden noch zwei Lautsprechersysteme und diverse Kontrolleuchten Platz. Zwei Rundinstrumente geben Aufschluß über Drehzahl und Reisegeschwindigkeit, ein dazwischenliegendes LCD-Display informiert über die Uhrzeit, bei Radiobetrieb auch über den eingestellten Sender, Kassettenlaufrichtung und so fort. Doch keine Panik. Trotz der Vielzahl der Bedienelemente ist es den Honda-Ingenieuren gelungen, das Cockpit aufgeräumt und übersichtlich zu gestalten. Was das Auge sucht, findet es sofort. Selbst die Bedienung mit durchgefrorenen Fingern, eine Griffheizung fehlt leider im Ausstattungspaket, in dicken Winterhandschuhen wird so nicht zum Glücksspiel.
Doch zunächst interessiert nur ein einziger Knopf: der Anlasser. Ein kurzer Druck genügt, und das mächtige Sechszylinder-Boxer-Triebwerk nimmt chokeunterstützt seine Arbeit auf. Einspritzanlage und Katalysator fehlen ihm leider. Leise säuselnd nimmt der von zwei Vergasern beatmete, wassergekühlte Motor schon ab Leerlaufdrehzahl sauber Gas an. Mechanische Lebensäußerungen sind ihm völlig fremd. Scheinbar unbeeindruckt von der zu bewegenden Masse, zeigt der Triebsatz ein erstaunliches Temperament. Turbinenartig dreht der Boxer mit Nachdruck bis in den roten Bereich. Um nicht vom Drehzahlbegrenzer überrascht zu werden, sollte der Fahrer stets den Drehzahlmesser im Auge behalten, denn die akustische Rückmeldung des Sechszylinders fällt so gering aus, daß man sich beim Schalten nicht auf sein Gehör verlassen sollte. Wird die fünfte Fahrstufe eingelegt, die als drehzahlsenkender Overdrive fungiert, läßt der kraftvolle Vortrieb naturgemäß etwas nach. Dennoch sorgt der Sechszylinder für ausreichend zügiges Vorankommen des kardangetriebenen Reisedampfers. Immerhin gebietet die rechte Hand über ein in der Zweiradbranche beinahe unvergleichliches Drehmoment von 150 Nm.
So locker, wie der Motor das Dickschiff vorwärts treibt, so locker ist es zu bewegen. Die günstige Schwerpunktlage und eine ausgeklügelte Fahrwerksgeometrie lassen das Gewicht von rund neun Zentnern beinahe vergessen. Im Schrittempo noch kippelig wirkend, wandelt sich das Bild mit zunehmender Geschwindigkeit. Überraschend handlich, läßt sich die Gold Wing auch durch verwinkelte Passagen leicht und sicher vom breiten Lenker aus dirigieren. Spurstabil bis hinauf zur Höchstgeschwindigkeit folgt die Honda dem vorgegebenen Kurs. Daß sich dabei der richtige Fahrkomfort einstellt, dafür sorgen die gut arbeitenden Federelemente. Gabel und Federbeine sprechen feinfühlig an und lassen die Gold Wing auch auf schlechten Wegen niemals die Contenance verlieren. Wer die üppige Zuladung des Kofferraums - neben diversen Ablagefächern stehen zwei integrierte Koffer und ein Topcase zur Verfügung - gänzlich ausreizen möchte, der kann mittels des Bordkompressors eines der hinteren Federbeine per Luftunterstützung individuell abstimmen.
Dem Motor ist es egal, wieviel zusätzliche Kilos dem Koloß aufgeladen werden. Mit der Kraft und Herrlichkeit von 1520 cm³ beherrscht er jede Situation souverän, gleichgültig in welcher Gangstufe - Eigentlich schade, denn das leicht und präzise zu schaltende Getriebe hätte mehr Zuwendung verdient. Empfindlich zeigt sich das Dickschiff allerdings, wenn Trennfugen und Längsrillen seine Bahnen kreuzen. Die quittiert es mit leichtem Schlingern, das aber schnell wieder von allein abklingt. Auch Seitenwind und Verwirbelungen vorausfahrender Lkw zeigen ob der großen Angriffsfläche ihre Wirkung. Die Gold Wing beginnt zu taumeln. Aber wen stört das schon, beim American Way of Drive. Musikberieselt durch die integrierte Audioanlage und auf freier Bahn durch den Tempomat auch der letzten Arbeit enthoben, kann der Fahrer hinter der sehr gut schützenden Verkleidung die vorbeistreifende Landschaft in vollen Zügen genießen. Und auf diese gemütliche Gangart ist die Honda Gold Wing offensichtlich auch ausgelegt, denn bei zügiger Fahrweise zeigt die Integralbremsanlage, der Handhebel bedient eine Scheibe im Vorderrad und der Fußbremshebel greift auf die hintere Scheibe und eine im Vorderrad zu, recht bald ihre Belastungsgrenzen auf und mahnt mit nachlassender Wirkung zu einem gemäßigteren Fahrstil.
Dennoch, auch nach zehn Jahren zieht das Kultobjekt selbst die größten Skeptiker noch in seinen Bann. Als zuverlässiges und bequemes Reisemotorrad, in Gold Wing-Fahrerkreisen kennt man technische Probleme nur vom Hörensagen, überzeugt sie noch heute.
Als Extra gibt’s das erhebende Gefühl, wenn sich entlang des Weges immer wieder wildfremde Menschen jeden Alters die Hälse verrenken, um auch nur einen Blick auf diese mächtige Erscheinung werfen zu können, und bei jeder Rast kleine Ansammlungen Schaulustiger um den Luxusliner bilden und unzählige Fragen auf den Fahrer niederhageln. Dieselben Fragen, die die Gold Wing schon zeitlebens begleiten, dieselben Fragen, die die Faszination bis heute aufrecht erhalten.